Wie eng Sprache und Realität zusammenhängen (Ein Kommentar)

Da ist erneut die Emanzenkultur, schleicht sich heimlich an und vergreift sich dieses Mal sogar an der deutschen Sprache – unerhört! Alles muss man umändern, einführen, verkomplizieren, auf alles muss man achten, nur um jede mögliche Art der Diskriminierung oder Vernachlässigung zu vermeiden. Wenn man so viel auf Sprache achtet, verstünde man sie ja womöglich nicht mehr, da es doch so schwer ist, mehr als ein Geschlecht in die Sprache zu integrieren. Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen? Sprache und Gleichberechtigung, das ist so ein Thema. Es ist keine neue Debatte, doch abgeschlossen ist sie keinesfalls. Immer wieder aufs Neue streitet man sich darüber, ob es nun reicht, ständig das generische Maskulinum zu verwenden und es damit zu begründen, die Frauen seien doch mitgemeint. Doch reicht es Frauen heute, im 21. Jahrhundert tatsächlich lediglich mitgemeint zu sein?

Emanzipation erschöpfe sich in Formalismen, heißt es häufig. Doch tatsächlich sind diese Formalismen von Bedeutung, so klein sie auch sein mögen. Zwar wird oft eingeworfen, im Deutschen hat das grammatische Geschlecht mit dem natürlichen nichts zu tun und das „Genus masculinum“ stehe nicht für Männlichkeit, sondern schlicht für „Singulativität“. Somit sind Genus und Sexus also getrennt, doch wir dürfen auch nicht vergessen uns die Frage zu stellen, wie und weshalb es sich überhaupt dazu entwickelt hat, dass die Verallgemeinerung gerade die männliche und nicht die neutrale Form angenommen hat. Im Deutschen haben wir bekanntlich drei grammatische Geschlechter, in anderen Sprachen ist das anders, und von diesen drei grammatischen Geschlechtern ist es das Maskulinum geworden, das für die Verallgemeinerung zuständig ist. Wieso das so ist? Eine konkrete, hundertprozentige Antwort gibt es wohl nicht, doch wir wissen alle, dass in der Vergangenheit immer, sogar bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts, das Männliche in vielen Bereichen dominiert hat und das wirkte sich ebenso auf die Sprache aus. Gesellschaftliche Zustände und Konventionen haben also durchaus Einfluss auf die Sprache. Und in was für einer Gesellschaft leben wir heute? Sicherlich nicht in derselben, wie sie es vor rund hundert Jahren war. Damals hat es niemanden gestört, das Genus Maskulinum für die Allgemeinheit zu verwenden, weil es gegeben war, doch heute leben wir nicht nach denselben gesellschaftlichen Konventionen wie damals: Sprache bleibt nicht gleich, Sprache wandelt sich. Wir entwickeln uns weiter und die Sprache tut es uns gleich.

Aus rein linguistischer Perspektive würde durch eine Doppelform, bei der man sowohl das männliche als auch das weibliche Geschlecht anspricht, eine Diskriminierung der Männer stattfinden. Entschuldigung, aber welcher Mann fühlt sich bitte benachteiligt, wenn man bei einer beliebigen Anrede noch die weibliche Form anhängt oder das Binnen-I verwendet? Es geht bei dem Thema geschlechtergerechte Sprache in erster Linie um den Wunsch, Frauen auf einer sprachlichen Ebene, auf einer Bewusstseinsebene sichtbar zu machen und nicht um die linguistische Korrektheit. Insofern ist die Konventionalisierung der Doppelform vollkommen in Ordnung, zumal sie in der Gegenwartssprache eine durchaus erfolgreiche Strategie ist, eine geschlechtergerechte Sprache zu schaffen. Es stört auch niemanden in einem Publikum als „Damen und Herren“ angesprochen zu werden, weshalb sollte man es also bemängeln, als „StudentInnen“ oder Schüler und Schülerinnen angesprochen zu werden?

Werfen wir einen Blick auf die Behauptung, die Umstrukturierung und Anpassung der Sprache würde die Sprache verunglimpfen und unverständlich machen, dadurch, dass die Satzgefüge so unendlich lang werden und dies zu erheblichen Komplikationen führe. Wir erkennen schnell, dass dem nicht so ist. Es tut niemandem weh, statt von „Studenten“ von „Studentinnen und Studenten“ oder „Studierenden“ zu sprechen. Seien wir doch mal ehrlich: Ginge es auf Kosten der Verständlichkeit, wenn man Sätze für Männer umstrukturieren müsste? Nein, natürlich nicht. Doch dem Mann sind die meisten Sätze, eigentlich alle, wie es Luise F. Pusch so schön sagt „auf den Leib geschneidert“. „Der Inhaber dieses Passes ist Deutscher.“ Doch jetzt stellen Sie sich einmal vor, da stünde tatsächlich „Die Inhaberin dieses Passes ist Deutsche.“ und die Person, der dieser Pass gehört, ist ein Mann. Selbstverständlich würde der Mann sich unverzüglich bei der Behörde beschweren und man würde ihm Recht geben, doch wenn eine Frau das tut, ist das nur Theater, ein kleines Drama zum Belächeln, zumal es schon immer so war, dass Frauen im generischen Maskulinum miteinbezogen waren. Bei Frauen geht das halt. „Viel zu viel Bürokratie, das alles nochmal umzuändern, außerdem war das schon immer so.“ Schon immer so? Ach ja, ist das jetzt ein gängiges Argument, bestehende Ungleichheiten bestehen zu lassen, nur weil es schon immer so war? In unserer Gesellschaft ist das Bild der geduldigen und sich fügenden Frau noch immer weit verbreitet und unterbewusst in den Köpfen der Menschen verankert. Wieso sich nun beschweren? „Mach doch nicht immer so ein großes Ding ‘draus“, heißt es dann. Einfach weglassen und „miteinbeziehen“, ist eben die einfachste Lösung, nicht wahr?

Ein weiterer Aspekt, der oftmals in typischen Diskussionen zu diesem Thema außen vor gelassen wird, ist der, dass die geschlechtsspezifische Vernachlässigung eine Tatsache ist. Es gibt etliche Studien zu diesem Thema, wie etwa die Studie von „Braun et al“ aus dem Jahr 1998, welche zeigt, dass in der Tat eine enge assoziative Verbindung zwischen dem grammatischen und dem natürlichen Geschlecht besteht. Es wird bei Formulierungen mit dem generischen Maskulinum automatisch weniger an Frauen als an Männer gedacht. Diese sprachliche Unsichtbarkeit würde Frauen nicht zu schaffen machen, denken viele Männer, doch das tut es. Und um sich da hineinzuversetzen, muss man selbst in der Situation gewesen sein. An einem konkreten Fall in Zürich zeigt sich diese Ironie, wie Männer reagieren, wenn sie mal kurz unsichtbar werden: Im Züricher Gemeinderat solle die neue Gemeindeordnung als weiblich gekennzeichnet werden und von nun an nur noch von Beamtinnen und Gemeinderätinnen die Rede sein. Ihre Reaktion? Energische Gegenwehr! Sehen sie? Da haben wir es. Die Männer „wollen nicht einfach mitgemeint sein“. Doch so ging es Frauen schon immer.

Zu guter Letzt möchte ich auf Ulrich Greiners Aussage in der „Zeit“ eingehen, in der er davon spricht, dass türkische Frauen aufgrund des fehlenden Genus in der türkischen Sprache keine Probleme mit geschlechtergerechter Sprache hätten. „Aber vielleicht haben sie dennoch ein Problem mit Gleichstellung.“ Was er damit meint, wissen wir alle. Nur weil man eine geschlechtergerechte Sprache ohne ein generisches Maskulinum hat, heißt es längst nicht, dass es im echten Leben und in der Gesellschaft auch so gelebt wird. Natürlich nicht, doch darauf möchte die feministische Linguistik auch gar nicht hinaus. Wie die bekannte Autorin Kübra Gümüsay es in ihrem Buch „Sprache und Sein“ geschrieben hat: Sprache schafft Wirklichkeit. Sprache schafft Realitäten. Es geht nicht darum, durch eine geschlechtergerechte(re) Sprache, alle anderen geschlechtsspezifischen gesellschaftlichen Probleme zu beseitigen, sondern darum, ein Stück, einen weiteren Schritt in diese Richtung einzuschlagen und jeden in der Sprache mitzuberücksichtigen.

Bei der Debatte um geschlechtergerechte Sprache geht es weder darum, eine feministische Weltherrschaft zu etablieren, noch um die Verunglimpfung der deutschen Sprache durch die „Verkomplizierung“ aufgrund einer Emanzenkultur. Es geht darum, wie Sprache sich auf unser alltägliches Leben auswirkt und inwiefern wir durch sie bevorzugt oder benachteiligt werden können. Das generische Maskulinum garantiert uns Frauen, dass wir mitgemeint sind, doch Mitgemeintsein und sich angesprochen fühlen, sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. Sprache und Sein stehen in direktem, unmittelbarem Zusammenhang zueinander und man sollte die Macht der Sprache nicht unterschätzen, denn Sprache schafft Wirklichkeit. Sprache passt sich an gesellschaftliche Konventionen an und in einer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts reicht es mir nicht, nur „mitgemeint“ zu sein. Es bedarf mehr als einer Verallgemeinerung, damit ich als Person mich höflich angesprochen fühle. In unserer heutigen Gesellschaft sollte das normal sein, denn wir entwickeln uns weiter und die Sprache tut es uns gleich.

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